Kreativität
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ADS/ADHS, kreative Blockaden und andere Gedankensprünge – 5 Punkte für etwas mehr Struktur

ADS/ADHS und Kreativität passen gut zusammen. Allerdings läuft jemand mit einer sprunghaften Aufmerksamkeit Gefahr, sich zu verzetteln. Was anders geschalteten Hirnen leicht zu fallen scheint – einen konstanten Output in einem einzelnen Bereich über längere Zeit aufrecht zu erhalten, ist für uns fast unmöglich.

Dieser Beitrag beruht nicht auf therapheutischen oder professionellen Erkenntnissen, sondern auf eigenen Erfahrungen, die mir persönlich geholfen haben. Vielleicht bist du anders, und das was ich da schreibe ist für dich nicht nützlich. Du bist Du und Du bist ok. Was mir hilft muss für dich nicht passend sein.

Es fällt immer schwerer, sich nur einem einzelnen (kreativen) Projekt zu widmen, es wird richtig anstrengend. Lähmender Widerwille, der Kreativität und Produktivität im Keim erstickt.

Bei den Apfelbäumen gibt es Sorten, die sich innerhalb der eigenen Sorte ganz prima befruchten können. Aber es gibt auch Sorten, die Befruchterbäume aus einer anderen Sorte brauchen, um reich zu tragen. Selbst in intensiven Kulturen gibt man dieser Eigenart nach und pflanzt in bestimmten Abständen Befruchterbäume. Warum also sich verdrehen und verrenken, wenn es am Schluss doch nichts bringt?

Abgelenkt?

Mitten in der Vorbereitung für mein großes Wollprojekt, kommt mein Hirn und flüstert etwas von Gipsskulpturen. Wir haben weder Gips da, noch gab es den Plan demnächst mit Gips zu arbeiten, geschweige denn einen Arbeitsplatz für Gips einzurichten. Auch nicht vorübergehend. Aber einen kleinen Flirt erlaube ich mir. Vielleicht mache ich die Skizze dazu, überlege, wie ich die Drahtkonstruktion dazu machen könnte. Vielleicht mache ich auch mehrere Skizzen. So dass es sich irgendwann lohnt, den Gips Arbeitsplatz einzurichten und wieder einmal mit dem Werkstoff zu arbeiten. Mein Hirn ist zufrieden, kann das Projekt nach der Skizze freilassen und schaltet wieder Kapazität, für das worauf ich mich konzentrieren möchte. Allerdings werde ich diese Skizzen nicht in einem der grösseren Zeitblöcke von 2 Stunden machen, in denen ich mich wirklich mal kurz einer grösseren Arbeit widmen kann.

Das Skizzieren wird möglicherweise die Lust wecken, mit Tinte zu arbeiten. Und das kann sich dann wieder in der Wollfärberei niederschlagen. Oder in eine andere Richtung gehen. Man weiss nie, wohin ein Projekt letzendlich ganz genau führt. Aber das Vertrauen, dass es gut werden kann, ist da. Klar missrät mal das Eine oder andere. Eigentlich missrät mehr, als das gelingt. Diesen Prozess nennt man wohl lernen.

Fokus

Mein Medium ist im Moment die Wolle. Das ist eine Entscheidung, die mir helfen soll, den Fokus nicht zu verlieren. Nicht allzu viel Zeit mit anderen Sachen zu vertrödeln, weil ich mit der Wolle vorankommen will. Es ist ein toller Rohstoff, der bei uns dank der Schafe zwei Mal jährlich anfällt. In grossen Mengen anfällt. Und für diese Mengen habe ich mir über die Jahre immer mehr Werkzeug und Wissen zugelegt. Aber nur Wolle allein kann ich nicht. Will ich nicht. Ich kann nicht jedes Mal nein sagen, wenn mir eine Idee ausserhalb der Wollthemen zufällt. Wenn ich einfach kategorisch ablehne, verliere ich den Flow. Wenn ich mich zu sehr auf Nebenprojekte konzentriere, verliere ich den Drive.

Um kreativ und produktiv zu bleiben, muss ich mäandern dürfen. Sonst wird aus Kreativität schnell eine Fingerübung, die nichts mehr damit zu tun hat, wofür ich ursprünglich mal brannte. Ich bin so. Eher ein Ökosystem als eine gefestigte Person mit festen Abläufen. Bin eher der scheinbar verwilderte Garten in dem an jeder Ecke noch eine Blume, Heilpflanze oder ein Gemüse wächst.

Ich bin also nicht im Team „konzentrier dich halt“. Das habe ich versucht, weil es der einzige Weg ist, der Kindern vermittelt wird, die sich eben nicht konzentrieren können. Ich sass für Mathe im Flur, damit ich nicht abgelenkt war. Ideal, um die Gedanken schweifen zu lassen. Das Problem war eigentlich nicht, dass ich mich nicht konzentrieren konnte. Das Problem war eher, dass ich mich nicht fürs „Stöcklirechnen“ begeistern konnte. 5 Blöcke mit je vier Multiplikationen, das konnte mich einfach nicht fesseln und ich bin in Gedanken abgedriftet.
Wie behalte ich also als Pilot den Überblick und verzettle mich nicht? Ganz ehrlich, manchmal verzettle ich mich und verliere den Überblick.

5 Punkte gegen die destruktive Chaos Eskalation

Kreatives Chaos schön und gut, allerdings mag ich es nicht schön reden. Es gibt auch eine dunkle Seite. Begeisterung und schlechtes Zeitmanagement das den Tagesablauf aus den Fugen geraten lässt. Aufgaben, die nur hastig erledigt werden. Verstellte Ablageflächen, die kleine Unfälle, wie ein kippendes Trinkglas in eine mittlere Katastrophe verwandeln… Das kann innerhalb von einer Viertelstunde derart eskalieren, dass man in einem Raum nicht mehr von A nachh B kommt. Und das ist nicht mehr kreativ. Ich bin mir ziemlich sicher, dass es nicht nur mir so geht.

Ich habe für mich ein Paar Regeln aufgestellt, die mich vor der destruktiven Eskalation bewahren sollen.

1. Nur ein angefangenes Projekt pro Handwerk

Dabei bin ich ziemlich konsequent, weil mir der Punkt sehr wichtig ist. Angefangene Projekte brauchen Platz, binden Ressourcen und Werkzeug. Und wenn man eh schon sprunghaft ist, kann es extrem hemmen, wenn man sich auch noch entscheiden muss, woran man weitermachen will…
Eine Ausnahme ist das Stricken. Beim Stricken habe ich meist ein grösseres Projekt auf den Nadeln und gleichzeitig etwas transportables wie eine Mütze oder ein Paar Socken. Ich beginne strikt nur etwas neues, wenn das alte fertig ist. Vor einigen Jahren habe ich tabula rasa gemacht und eine grosse Anzahl unfertiger Projekte aufgeribbelt. Das war eine regelrechte Befreiung. Es blockiert mich, wenn ich weiss, dass ich offene Baustellen hab.
Skizzen sind nie fertig, das sind visuelle Notizen, die abgelegt werden können. Deswegen kann es sein, dass ich viele Skizzen gleichzeitig zu verschiedenen Themen über einen längeren Zeitraum immer wieder bearbeite. Dabei habe ich begonnen anstelle von Zettelwirtschaft mit Büchern zu arbeiten. (Und das hat dazu geführt, dass ich ein bisschen Buchbinden gemacht hab.)

2. Nach jedem Arbeitschritt aufräumen.

Was normalen Menschen klar ist, und vielleicht auch in Fleisch und Blut, ist für mich wirklich schwierig durchzuziehen. Wenn ich im Flow bin, „fliegen die Fetzen“ und das lästige Aufräumen, das immer einen Unterbruch bedeutet, wird gerne an den Schluss verschoben. Dann stehe ich vor dem grossen Chaos und weiss nicht mehr weiter. Wenn ich nach jedem Arbeitsschritt aufräume eskaliert es weniger, und am Schluss bleibt mehr Zeit fürs Bewundern des Resultates. Oder wenn etwas dazwischenkommt, gibt es nicht so viel aufzuräumen bis wieder Normalchaos erreicht ist.

3. Mit der Arbeit nur beginnen, wenn genug Zeit und Material da ist.

Das neue Werkzeug oder der tolle bedruckte Jersey ist geliefert worden und ist ausgepackt. Jetzt sofort beginnen ist der erste Input. Aber nicht, wenn ich weiss, dass ich eigentlich aufräumen und staubsaugen wollte, um später noch einkaufen zu gehen. Und das Kind bald hungrig sein wird. Das braucht etwas Impulskontrolle, aber verhindert frustrierendes Chaos.
Abschätzen zu können, wie lange man für einen Arbeitsschritt braucht, ist nicht einfach. Aber unbedingt noch fertig machen wollen, obwohl es spät ist, oder etwas anderes dringend wäre, resultiert meist in Stress. Und unter Stress fällt wieder das Aufräumen aus bei mir. Und das ist wiederum nicht gut fürs Feng Shui.
Ich habe gelernt Dinge in Arbeitsschritte zu unterteilen. Nach jedem Arbeitschritt wird aufgeräumt und überlegt, ob man für den nächsten Schritt genug Zeit und Material hat. Ja? Gut! Weiter. Nein? Aufräumen und ganz entspannt zu einem besseren Zeitpunkt weitermachen.

4. Nur Material kaufen, wenn klar ist, dass es verarbeitet wird. Bevor neues Material gekauft wird, das vorhandene Material verarbeiten.

Da kommt es halt drauf an, was das Hobby ist. Material sammeln oder mit Material arbeiten. Für mich wirkt zu viel „Stash“ beklemmend. Wenn ich etwas machen möchte, muss ich doch erst das Material aufbrauchen das da ist. Wenn aber alles mögliche da ist, aber nicht das was ich eigentlich brauche, kaufe ich ungern etwas neues. Weil ich ja eigentlich so viel da hab. Das nützt aber nichts weil ich damit ja nicht mein Projekt anfangen kann. Also habe ich mir irgendwann einmal die Grenze gesetzt, nur Material für ein Projekt zu kaufen und das dann auch zu verarbeiten. Vielleicht bestelle ich auch mal mehr Stoff, als nur für ein Nähprojekt. Und vielleicht liegt ein Teil davon auch eine Weile rum, bis alles verarbeitet ist. Aber ich bestelle nichts neues, bevor nicht die letzte Bestellung verarbeitet ist. Auch wenn von dem tollen Stoff nur noch 1.2m vorhanden sind, und der vielleicht ausverkauft ist, bis ich dann mein Material verarbeitet hab. Daran stirbt niemand. Wirklich.

5. Nicht gleich jeder Idee sofort nachgeben! (und das Werkzeug für ein weiteres Handwerk kaufen)

Eigentlich ein ähnlicher Punkt wie der vorhergehende, hat aber noch etwas mehr mit dem Thema Kreativität im allgemeinen zu tun. Wie oft sieht man etwas aus einem Handwerk das man nicht selber macht, das einen total reinzieht. Nach einem Abend der Recherche ist eigentlich klar, was es für die Grundausstattung braucht, wo man sie bestellen kann und was es kosten würde. Der Warenkorb ist gefüllt, man müsste nur noch die Bestellung abschliessen.
In diesem Moment bestelle ich nicht. Tab schliessen. Ich kenne mich. Ich weiss, dass ich nicht die Kapazität habe, jedes Handwerk auszuprobieren. Manche Dinge sind toll und schön, aber das sind sie auch, wenn ich es jemand anderem überlasse. Wenn ich nach ein Paar Monaten immer noch nicht davon lassen kann, und immer noch ständig davon träume das mal auszuprobieren gebe ich der Sache vielleicht eine Chance.
Ganz ehrlich: ich würde soo gerne wieder Räucherschalen töpfern. Und diese dann Raku brennen. Und Schalen für meine Sempervivum Feengärten. Stelle mir die Farb- und Formensprache vor… Modelle, Motive etc.. Eine Welt tut sich auf und macht mich atemlos. So unglaublich viele kreative Möglichkeiten. Aber ich bestelle nicht gleich Keramik oder Ton. Ich möchte mich jetzt auf die Wolle konzentrieren. Ich mache vielleicht ein Paar Skizzen und überlege wie ich diese Farb- und Formsprache, die Motive in mein Wollprojekt einfliessen lassen kann. Vielleicht arbeite ich mich auch ein wenig in die Theorie ein, mit welchen Glasuren und welchem Ton meine Effekte erreicht werden könnten.
Sollte ich dann in einiger Zeit doch das unstillbare Bedürfnis haben mit Ton oder Keramik zu arbeiten kann ich auf einen Fundus von Skizzen zurückgreifen und aus dem vollen Schöpfen.

aus dem Vollen schöpfen

Dieses Mäandern, das Zulassen, dass der Geist schweifen will und sich nicht einfach in eine Form zwingen lässt, braucht Zeit. Es braucht auch Selbstvertrauen und man muss sich auch ein bisschen kennen, damit man nicht immer wieder über die gleichen Hürden stolpert. Für mich hat sich diese Art zu arbeiten bewährt. Einerseits habe ich so den Ausgleich, den ich brauche um produktiv zu bleiben und auch Spass daran zu haben.
Mein Hirn liefert Fülle, wenn ich es nicht ständig abklemme. Lustlosigkeit, Aufschieben von Arbeiten, die ich eigentlich mag und rastloses Konsumieren von Medien zur Ablenkung sind für mich der Hinweis, dass etwas abgeklemmt ist.
Dabei läuft das für mich auch immer phasenweise ab. An einem Abend stricke ich mit grosser Begeisterung an meinem Pullover weiter, bin überzeugt, dass ich in diesem Rhythmus in zwei Wochen endlich fertig damit bin. Am nächsten Abend liegt es wieder, weil etwas anderes interessanter ist. Solange ich mich nicht dazu hinreissen lasse, zuviel anzufangen ist das kein Problem. Kreativprojekte sind nicht nachtragend. Die sind auch in zwei Wochen noch bereit zum weitermachen. Und am leichtesten fällt das, wenn man dokumentiert hat, was zu tun ist. Und das Projekt ordentlich verstaut ist, mit sauberem Werkzeug.
Für aussenstehende sieht es oft so aus, als könnte man einfach alles auf Anhieb. Mal eben eine Serie Keramikgegenstände zu töpfern… Popup Karten mit mittel komplexen Motiven zaubern… Von aussen sieht es aus, als ob diese Fähigkeiten einfach vom Himmel fallen.

Wertschätzung und Selbstfürsorge

Die vielen Stunden der Planung, Recherche, skizzieren und darüber nachdenken, während man etwas anderes macht, sind nicht sichtbar. Diese Arbeit Wert zu schätzen, gehört zum eigenen Selbstverständnis und ist ein Teil der Selbstfürsorge und Selbstachtung. Wenn jemand 10 Stunden lang Klarinette übt, ist jedem klar, dass Zeit investiert wird. Mein eigenes kreatives Arbeiten sieht weniger ernsthaft aus. Ist sprunghafter, verspielter. Und doch sind am Ende 10 Stunden 10 Stunden.

Viele Menschen, deren Hirn nicht auf die typische Weise „verdrahtet“ ist, haben Schwierigkeiten damit, sich so anzunehmen wie sie sind. Oft ist ja auch keine Diagnose da. Und eine Diagnose allein bringt ja auch nicht Verständnis und Lösungen frei Haus. Man hat einfach gemerkt, dass die anderen Kinder sich viel besser konzentrieren können. Und vielen wurde gesagt, dass sie sich einfach mehr Mühe geben müssen, um konform zu sein. Du kannst es doch! Gibt dir Mühe! Niemand bringt einem Strategien bei, mit sprunghafter Aufmerksamkeit umzugehen. Im Gegenteil, viele werden unter Druck gesetzt, was genau das Gegenteil bewirkt.

Zu sehen, dass „reiss dich am Riemen“ nicht der funktionierende Weg ist und seinen eigenen Weg entsprechend der eigenen „Verdrahtung“ zu finden, braucht Mut. Und es ist sehr befreiend zu sehen, dass man eben doch produktiv ist. Dass man einfach seine Ziele auf andere Weise erreicht.

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